Bypass-Operation am schlagenden Herzen

Die Koronar-Bypass-Operation am schlagenden Herzen ist eine fortschrittliche chirurgische Technik, bei der Ihr Herz während des gesamten Eingriffs weiterhin in seinem natürlichen Rhythmus schlägt. Bei diesem modernen Ansatz wird der Blutfluss zu den verschlossenen Koronararterien durch das Anlegen neuer Bypass-Gefäße wiederhergestellt – und zwar ohne den Blutkreislauf an eine Maschine anzuschließen. Die Grundidee besteht darin, auf den Einsatz der Herz-Lungen-Maschine zu verzichten, so die physiologische Balance des Körpers zu erhalten und den durch die Operation verursachten Stress zu minimieren. Für geeignete Patientengruppen stellt dieses Verfahren eine wichtige Alternative dar, um die Bypass-Operation sicherer und komfortabler zu gestalten.

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Prof. Dr. Yavuz Beşoğul

Facharzt für Herz- und Gefäßchirurgie

Seit 1997 führt Prof. Dr. Yavuz Beşoğul Operationen im Bereich der minimal-invasiven Herzchirurgie durch und hat seine Erfahrungen auf nationalen und internationalen Kongressen und in Fachzeitschriften geteilt.
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Warum verstopfen die Gefäße im Herzen und was ist eine Bypass-Operation?

Man kann sich unser Herz als einen großartigen Motor vorstellen, der rund um die Uhr Blut in jede Ecke unseres Körpers pumpt. Genau wie ein Automotor Kraftstoff benötigt, braucht auch unser Herz viel sauerstoffreiches und nährstoffreiches Blut, um diese Aufgabe zu erfüllen. Die Gefäße, die das Herz mit diesem wichtigen Blut versorgen, nennt man „Koronararterien“. Sie umgeben das Herz wie eine Krone.

Im Laufe der Jahre können sich aufgrund von Faktoren wie Ernährung, Lebensstil und genetischer Veranlagung Ablagerungen (sogenannte „Plaques“) an den Innenwänden dieser Gefäße bilden. Diese Plaques verengen die Gefäße nach und nach, ähnlich wie Kalk in alten Wasserleitungen. Wenn die Verengung ein bestimmtes Maß erreicht, gelangt nicht mehr genügend Blut zum Herzmuskel. Zunächst macht sich dies durch belastungsabhängige Brustschmerzen oder Atemnot bemerkbar. Bricht eine Plaque plötzlich auf und verstopft das Gefäß komplett, kommt es zum lebensbedrohlichen Herzinfarkt.

Genau an diesem Punkt kommt die Bypass-Operation ins Spiel. Bypass bedeutet wörtlich „Überbrückung“ oder „Umgehung“. Wenn Medikamente oder Stents nicht ausreichen, um die verstopfte Arterie zu öffnen, legen wir operativ einen neuen Weg an, der das Blut an der Engstelle vorbeiführt. Für diese Brücke verwenden wir meist gesunde eigene Gefäße des Patienten. Dadurch erhält der Herzmuskel wieder das lebenswichtige Blut. Vor allem bei mehreren verschlossenen Gefäßen oder einer kritischen Engstelle in der Hauptarterie bleibt die Bypass-Operation die dauerhafteste und effektivste Lösung.

Welche Methoden gibt es für die Koronar-Bypass-Operation?

Für die Durchführung der Bypass-Operation gibt es grundsätzlich zwei Ansätze: Zum einen das traditionelle Verfahren mit Stilllegung des Herzens, zum anderen die moderne Methode, bei der das Herz weiter schlägt. Das Ziel beider Methoden ist gleich – die Wiederherstellung des Blutflusses –, aber die Wege unterscheiden sich:

  • Traditionelle Operation mit Herzstillstand

Hier wird das Herz für die Dauer der Nahtarbeiten mit speziellen Medikamenten vorübergehend gestoppt. Währenddessen übernimmt die sogenannte Herz-Lungen-Maschine die Blut- und Sauerstoffversorgung des Körpers. Dies ermöglicht dem Chirurgen ein vollkommen ruhiges und blutleeres Operationsfeld, was insbesondere bei sehr feinen Nähten hilfreich ist. Diese Methode ist seit vielen Jahren millionenfach erprobt und gilt als „Goldstandard“.

  • Operation am schlagenden Herzen (OPCAB)

Wie der Name schon sagt, wird bei dieser Technik keine Herz-Lungen-Maschine eingesetzt. Ihr Herz schlägt während der gesamten Operation weiter. Aber wie ist es möglich, an einem sich bewegenden Herzen präzise Nähte zu setzen? Der Chirurg verwendet spezielle „Stabilisatoren“, mit denen ein kleiner Bereich des Herzens für die Dauer der Nahtarbeiten sanft fixiert wird. Währenddessen pumpt der übrige Teil des Herzens weiter Blut durch den Körper. Ziel dieser Methode ist es, potenzielle Nebenwirkungen der Herz-Lungen-Maschine wie Schädigung der Blutzellen, Entzündungsreaktionen oder Funktionsstörungen von Niere und Lunge zu vermeiden. Für den Chirurgen ist dieses Vorgehen technisch anspruchsvoller, kann aber bei geeigneten Patienten zu einer schnelleren Genesung führen.

Wie läuft die Bypass-Operation am schlagenden Herzen Schritt für Schritt ab?

Diese Operation ist wie das Zusammenspiel eines Orchesters: Chirurg, Anästhesist und das gesamte Team arbeiten perfekt zusammen. Der Ablauf erfolgt in mehreren, sorgfältig koordinierten Schritten.

Zunächst werden Sie vom Anästhesieteam sicher in Narkose versetzt. Während der gesamten Operation werden Ihr Blutdruck, Herzrhythmus und alle anderen Vitalparameter lückenlos überwacht. Um das Herz optimal zu erreichen, wird meist das Brustbein in der Mittellinie geöffnet. Dadurch erhält der Chirurg einen uneingeschränkten Zugang zum Herzen und zu den Gefäßen für den Bypass.

Im nächsten Schritt werden die „neuen Gefäße“, also die Grafts für den Bypass, vorbereitet – oft parallel zur Eröffnung des Brustkorbs.

Welche „neuen Gefäße“ (Grafts) werden bei der Operation verwendet?

Der Erfolg und die Langlebigkeit der Operation hängen maßgeblich von der Qualität der verwendeten Gefäße ab. Folgende Gefäße werden am häufigsten eingesetzt:

  • Brustwandarterie (LIMA/RIMA)
  • Armarterie (Radialis)
  • Beinvene (Vena saphena)

Insbesondere Arterien aus der Brustwand gelten als „Goldstandard“ in der Bypass-Chirurgie, da ihre Struktur den Koronararterien sehr ähnlich ist und sie selbst nach Jahren kaum zur Verstopfung neigen. Ziel ist es, möglichst viele arterielle Grafts zu verwenden, um die besten Langzeitergebnisse zu erzielen. Bei der Entnahme von Venen aus dem Bein wird heute oft die „No-Touch“-Technik angewendet: Die Vene wird mitsamt dem umgebenden Fettmantel entnommen, wodurch ihre Lebendigkeit erhalten bleibt und das Risiko einer späteren Verstopfung fast auf das Niveau der Arterien gesenkt werden kann.

Sind die Grafts vorbereitet, folgt der heikelste Teil der Operation. Der Chirurg stabilisiert den Bereich des Herzens, an dem genäht werden soll, mit speziellen Instrumenten. Dann wird das eine Ende des vorbereiteten Gefäßes mit sehr feinen Fäden an das gesunde Gefäß hinter der Verengung genäht, das andere Ende an die Hauptschlagader (Aorta) oder an eine andere Arterie. Während der Naht sorgt ein kleiner Shunt („intrakoronarer Shunt“) dafür, dass der Blutfluss im Gefäß nicht unterbrochen wird. Dieses moderne Detail trägt dazu bei, das Risiko für Herzschäden und andere Komplikationen während der Operation zu minimieren.

Nach Fertigstellung aller Bypässe werden die Stabilisatoren entfernt, die Blutstillung kontrolliert und das Brustbein mit Stahldrähten stabil verschlossen – die Operation ist damit abgeschlossen.

Für wen ist die Bypass-Operation am schlagenden Herzen besonders vorteilhaft?

Auch wenn die Operation am schlagenden Herzen (OPCAB) von erfahrenen Teams bei vielen Patienten durchgeführt werden kann, profitieren einige Gruppen besonders davon. Dazu zählen Patienten, bei denen die Herz-Lungen-Maschine zusätzliche Risiken bedeuten würde, z.B.:

  • Schwere Verkalkung der Aorta („Porzellanaorta“)
  • Chronische Niereninsuffizienz
  • Frühere Schlaganfälle oder vorübergehende ischämische Attacken
  • Schwere COPD (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung)
  • Hohes Alter
  • Patienten, die keine Bluttransfusion wünschen

In diesen Fällen kann das Vermeiden der Herz-Lungen-Maschine das Risiko für Schlaganfall, Nierenschäden oder Lungenkomplikationen deutlich senken.

Gibt es Situationen, in denen diese Operation nicht durchgeführt werden kann?

Natürlich ist die Bypass-Operation am schlagenden Herzen nicht für jeden Patienten geeignet. In manchen Fällen ist das Verfahren zu riskant, sodass die traditionelle Methode vorzuziehen ist. Ausschlusskriterien sind z.B.:

  • Kreislaufschock mit sehr niedrigem Blutdruck vor der Operation
  • Notfälle mit laufender Herzmassage
  • Unkontrollierbare, lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen
  • Sehr kleine, stark verkalkte oder tief im Herzmuskel verlaufende Gefäße
  • Sehr schwache Herzpumpleistung (fortgeschrittene Herzinsuffizienz)
  • Stark vergrößertes Herz (Kardiomegalie)
  • Je nach Situation und Erfahrung des Chirurgen können weitere individuelle Gründe gegen das Verfahren sprechen

Welche Vor- und Nachteile gibt es?

Hauptvorteile der Operation am schlagenden Herzen (OPCAB)

Die Vorteile ergeben sich vor allem daraus, dass auf die Herz-Lungen-Maschine verzichtet wird:

  • Geringeres Schlaganfallrisiko
  • Weniger Bedarf an Bluttransfusionen
  • Bessere Erhaltung der Nierenfunktion
  • Weniger Lungenkomplikationen
  • Kürzere Aufenthaltsdauer auf Intensivstation und im Krankenhaus
  • In der Regel schnellere Genesung

Herausforderungen von OPCAB und Vorteile der traditionellen Methode

Trotz aller Vorteile gibt es auch einige Herausforderungen:

  • Erfordert hohe technische Fähigkeiten und Erfahrung
  • Bei schwer zugänglichen Gefäßen kann die Nahtqualität beeinträchtigt sein
  • Bei geringer Erfahrung besteht das Risiko einer unvollständigen Durchblutung (nicht alle Gefäße werden versorgt)
  • Einige Studien zeigen leicht erhöhte Verschlussraten der Grafts im Langzeitverlauf

Die traditionelle Methode mit Herzstillstand bietet dem Chirurgen ein ruhiges, blutleeres Operationsfeld und ermöglicht so auch in sehr schwierigen Fällen eine vollständige und präzise Bypass-Versorgung. Die Auswahl der Methode ist daher immer eine individuelle Entscheidung – maßgeschneidert auf den einzelnen Patienten.

Wie verläuft die Genesung nach der Operation?

Genesungsdauer Im Durchschnitt 10–15 Tage; bei einigen Patienten kann die Genesung schneller verlaufen, da das Herz nicht stillgelegt wird.
Vorteile der Operation Weniger Blutverlust, kürzere Intensivstation, geringeres neurologisches Risiko, schnellere Mobilisierung.
Körperliche Aktivität Leichte Spaziergänge werden in den ersten Wochen empfohlen; die Heilung des Brustbeins dauert ca. 4 Wochen.
Medikamenteneinnahme Kardioprotektive Medikamente wie Aspirin, Betablocker, Statin und ACE-Hemmer sollten regelmäßig eingenommen werden.
Ernährung Empfohlen wird eine fettarme, salzarme, ballaststoffreiche Kost zur Unterstützung der Gefäßgesundheit.
Komplikationen Es besteht das Risiko von Infektionen, Herzrhythmusstörungen oder Problemen mit der Durchgängigkeit der Bypässe.
Wundpflege Die Operationswunden sollten regelmäßig kontrolliert und auf Infektionszeichen überprüft werden.
Blutdruck- und Cholesterinkontrolle Regelmäßige Kontrollen sind für das Langzeitergebnis der Bypässe wichtig.
Psychologische Unterstützung Stress, Angst und Schlafprobleme können auftreten – ggf. sollte Hilfe in Anspruch genommen werden.
Sexualität Nach abgeschlossener körperlicher Heilung, meist nach 4–6 Wochen, ist sexuelle Aktivität in der Regel wieder möglich.
Rauchen und Alkohol Rauchen muss unbedingt aufgegeben werden, Alkoholkonsum sollte eingeschränkt werden.
Autofahren In der Regel nach 4–6 Wochen wieder möglich, wenn Reaktionsfähigkeit und Aufmerksamkeit zurückgekehrt sind.
Kontrollen Regelmäßige Kontrollen: im ersten Monat und danach alle 3–6 Monate beim Kardiologen empfohlen.

Wie verlaufen die ersten Tage im Krankenhaus?

Direkt nach der Operation werden Sie auf die Intensivstation gebracht, wo Sie in der Regel 1–2 Tage überwacht werden. Zu Beginn kann noch ein Beatmungsschlauch in Ihrem Hals liegen, der entfernt wird, sobald Sie wieder selbstständig atmen. Angst, nach einer offenen Herzoperation nicht mehr aufzuwachen, ist heute dank moderner Medizin äußerst selten. Anästhesie und chirurgische Techniken sorgen für eine sichere und rasche Erholung.

Nach der Intensivstation kommen Sie auf die Normalstation. Dort beginnen Sie langsam wieder zu gehen und normal zu essen. In der Regel können Sie nach 4–7 Tagen nach Hause entlassen werden.

Worauf sollte ich in den ersten 6 Wochen zu Hause achten?

In dieser Zeit heilt Ihr Brustbein – lassen Sie Ihrem Körper die nötige Ruhe. Wichtige Empfehlungen:

  • Nehmen Sie Schmerzmittel wie verordnet ein.
  • Halten Sie die Wunden sauber und trocken.
  • Machen Sie täglich kurze, aber häufige Spaziergänge.
  • Heben Sie nichts Schweres (über 5 kg).
  • Vermeiden Sie Ziehen oder Schieben schwerer Gegenstände.
  • Heben Sie Ihre Arme nicht längere Zeit über Schulterhöhe.
  • Verzichten Sie auf Autofahren.
  • Lassen Sie sich beim Aufstehen nicht an den Armen hochziehen.

Mit welchen seelischen Belastungen ist nach der Operation zu rechnen?

Eine große Operation belastet nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche. Erfahrungsberichte zeigen, dass viele Patienten ähnliche emotionale Phasen durchleben. Häufige Gefühle sind:

  • Traurigkeit oder depressive Verstimmung
  • Ängste und Sorgen
  • Vorübergehende Gedächtnis- oder Konzentrationsprobleme („Gehirnnebel“)
  • Plötzliche Stimmungsschwankungen
  • Einschlafprobleme

Diese Reaktionen sind normal und Ausdruck des physischen Stresses und der großen Lebensveränderung. Sprechen Sie offen mit Ihrer Familie, Ihren Lieben oder Ihrem Arzt darüber. Scheuen Sie sich nicht, bei Bedarf professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Wann kann ich wieder normal leben und wie verbessert sich meine Lebensqualität nach dem Bypass?

Nach den ersten 6 Wochen beginnt allmählich die Rückkehr zum normalen Leben. Nach ärztlicher Freigabe dürfen Sie meist nach 6–8 Wochen wieder Auto fahren und ins Büro zurückkehren. Körperlich anstrengende Tätigkeiten können mehrere Monate dauern.

Die große Mehrheit der Patienten ist nach einer erfolgreichen Bypass-Operation vollständig von den vorherigen Beschwerden wie Brustschmerzen und Atemnot befreit. Alltägliche Aktivitäten wie Treppensteigen, Spazierengehen oder Zeit mit den Liebsten werden wieder mühelos möglich – ein enormer Gewinn an Lebensqualität.

Wie kann ich die Haltbarkeit der Bypässe verlängern und gesund leben?

Die Bypass-Operation heilt die Arteriosklerose nicht, sondern überbrückt nur die durch sie verursachten Engstellen. Deshalb ist die Operation ein Neuanfang, kein Ende! Die Haltbarkeit der Bypässe und der übrigen Gefäße hängt entscheidend von Ihrem Lebensstil ab:

  • Rauchen Sie auf keinen Fall mehr.
  • Setzen Sie auf eine mediterrane Ernährung mit viel Gemüse, Obst und gesunden Fetten.
  • Meiden Sie verarbeitete Lebensmittel, zu viel Salz und Zucker.
  • Befolgen Sie regelmäßig das empfohlene Bewegungsprogramm (z. B. zügiges Gehen).
  • Nehmen Sie Ihre verschriebenen Medikamente (Blutverdünner, Cholesterin- und Blutdrucksenker) ein Leben lang zuverlässig ein.
  • Nehmen Sie sich Zeit für Stressbewältigung.
  • Vernachlässigen Sie die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen nicht.

Denken Sie daran: Die sicherste Entscheidung wird individuell aus Ihrem Befund, Ihrem Risikoprofil und der Erfahrung Ihres Chirurgen getroffen. Ziel ist immer das bestmögliche und nachhaltigste Ergebnis bei geringstmöglichem Risiko.

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